Mahou Shoujou

„Danke für die Hilfe“, meinte Megumi und gähnte ebenfalls. Vielleicht von Sayoko angesteckt, vielleicht aber auch aus eigener Müdigkeit heraus.
„Aber ich glaube, langsam ist Zeit für’s Bett“, ihre Stimme ging langsam in ein leises Murmeln über, bis sie feststellte dass sie im Grunde noch nichts vorbereitet hatte. Kein Futon lag bereit und ins Wohnzimmer konnte sie Sayoko auch nicht verfrachten. Dann fiel ihr Blick auf ihr Bett, das geradeso breit genug wäre, dass sie sich zu zweit rein quetschen könnten.
Sie sah Sayoko an und stieß ihre gegeneinander. „Hättest du ein Problem damit, mit mir in meinem Bett zu schlafen? Ich kann dir auch noch einen Futon suchen, wenn dir das lieber ist.“

Sayoko schüttelte den Kopf.
"Bloß keine Umstände, Megu-chan." erwiderte sie lächelnd. "Du kannst mich irgendwo in die Ecke deines Bettes parken und ich bleibe regungslos bis zum Morgen liegen, also wenn es dich nicht stört schlafe ich bei dir.
Außerdem... ist es mir glaube ich ganz recht wenn ich heute Nacht jemanden neben mir habe."
Seitdem sie eigentlich jede Nacht mit Yuudai das Bett geteilt hatte waren die Albträume, die sie vorher fast täglich heimgesucht hatten, viel weniger geworden; sie war innerlich sogar dankbar nicht alleine schlafen zu müssen, auch wenn es wohl einfach nur Placebo war als das es wirklich half. Aber trotzdem, gerade heute - wo der Tag ein reines auf und ab für sie war - war sie dankbar nicht alleine sein zu müssen.

„Dann ist ja gut“, meinte sie und war sichtbar erleichtert, dass sie nicht noch durch das Wohnzimmer schleichen musste auf der Suche nach einer Matratze oder dergleichen. Zumal ihr Vater bestimmt schon am Schlafen war, nach den ganzen Nachtschichten die er gerade letzte Woche noch übernommen hatte.
So schlüpften beide in ihre Schlafkleidung und arrangierten sich dann irgendwie im Bett, das doch mehr Platz bot als Megumi erwartet hatte. Genauso war sie überrascht darüber gewesen, dass Dinah es diese Nacht wohl bevorzugte im Wohnzimmer zu bleiben. Insgeheim fragte sich Megumi, ob sie das aus Rücksicht auf Sayoko tat oder nicht. Es fiel ihr noch immer schwer, dieses Wesen das nach außen hin wie eine Katze aussah einzuschätzen.
Als sie dann schließlich beide im Bett lagen und das Licht ausgeschaltet hatte, konnte sich Megumi ein leises Kichern nicht verkneifen, egal wie müde sie war.

"Erinnert einen irgendwie an früher, was?" Sagte Sayoko leise, ebenfalls leicht schmunzelnd.
"Ich weiß noch wie Nana und ich uns früher in mein viel zu kleines Bett gequetscht haben und uns Stundenlang irgendwelche Gruselgeschichten erzählt haben, bis keiner mehr einschlafen konnte."

Obwohl sie hundemüde war, sah Megumi mit breitem Grinsen zu Sayoko.
„Gleiches bei mir und Ri-Chan“, antwortete sie und kicherte wieder. „Wobei wir uns manchmal auch über irgendeinen Manga unterhalten. Selten auch tiefere Gespräche.“

"Selten? Ich habe das Gefühl diese Art der Gespräche kann man am Besten Nachts führen." Erwiderte sie kichernd und erinnerte sich an das letzte Mal als Nanashi bei ihr übernachtet hatte, spürte einen kurzen Stich im Herzen.
"Megu-chan... Du und Nana ihr standet euch auch ziemlich nah, oder?"

Für einen kurzen Moment riss Megumi die Augen auf, dann lächelte sie jedoch wieder.
„Ja, kann man so sagen“, sie kroch leicht unter die Decke. „Zumindest hat sie mich immer wieder um Rat gefragt, wenn ihr irgendetwas auf dem Herzen lag oder sie Streit mit dir hatte.“

"Verstehe." Antworte Sayo und sagte erstmal eine Weile nichts mehr.
"Hat sie dir auch mehr wegen mir erzählt?" Fragte sie schließlich vorsichtig und drehte sich auf die Seite, weg von Megumi. Sie wusste nicht wieso die gerade jetzt darüber reden wollte, obwohl sie dieses Detail bisher immer vermieden hatte.

Verwirrt sah Megumi ihren Rücken an und begann für eine Weile zu überlegen.
„Hmm“, machte sie nach einer Weile. „Ich erinnere mich ehrlich gesagt kaum noch an ihre Worte. Aber sie meinte glaube ich Mal, dass sich in dir ihren… Lieblingsmensch sieht oder irgendwas die Richtung. Und sie aber nicht weiß, ob oder wie sie es dir sagen soll.“

Sayoko lachte kurz auf. Das war typisch Megumi. Sie hatte es nicht verstanden.
"...Hast du dich nicht Mal gefragt wieso sie so versessen auf mich ist?"

Die Fragezeichen über Megumis Kopf wurden wieder größer. Hatte sie etwas übersehen? Woher kamen die Fragen auf einmal? Unbewusst zog sie sich noch ein Stückchen tiefer unter die Decke.
„Na ja, ihr wart doch beste Freunde, die viel verbindet…“, sagte sie. „Mehr habe ich darüber ehrlich gesagt nicht nachgedacht.“

Sayoko lächelte bitter.
"Ich war leider viel mehr als das für sie." Sie seufzte, atmete tief ein. "Ich bin mehr als eine Freundin für sie. Eher das was... Yuu für mich ist."
Das Wort "Liebe" wollte sie nicht mehr im Zusammenhang mit Nanashi aussprechen - wenn das Liebe war dann wollte sie nicht wissen wie sich ihr Hass anfühlte.

„Eh?“ Für eine gefühlte Ewigkeit starrte Megumi sie verwirrt an, verarbeitete langsam die gesagten Worte, ehe sie sich ruckartig komplett unter die Decke verkrümelte.
„Mo-mo-mo-moment…“, murmelte sie leise, als sie Begriff, was Sayoko gesagt hatte. Dann zog sie ihren Kopf wieder hervor, starrte an die Decke und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
„Das erklärt auch warum sie über meine Antwort immer so enttäuscht war.“

Sayoko schwieg kurz, überlegte wie viel sie noch erzählen wollte.
"Ich glaube deswegen war sie auch so enttäuscht das ich.. mir nicht das Leben genommen habe. Für sie war das wahrscheinlich was romantisches, der ultimative Liebesbeweis."
Sie drehte sich ebenfalls auf den Rücken und auch ihr Blick suchte die Decke.
"Das ich mich gegen sie und für das Leben entschieden habe... Hat ihr wahrscheinlich endgültig das Herz zerbrochen." Sie lachte kurz, bitter. "Dieses dumme Mädchen. Dabei war ich doch schon immer in Yuu verliebt."

Megumi schwieg für eine Weile, dachte wieder an ihren Traum. Sollte sie Sayoko davon erzählen? Nein, vielleicht besser nicht. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie diesen Traum vorerst noch für sich behalten sollte. Zumindest bis sie sicher sagen konnte, dass es wirklich Nanashi gewesen war. Nanashi, nicht Alice.
„Aber… ist das nicht irgendwie ein Widerspruch?“, überlegte sie laut und räusperte sich. „Ich meine… wenn man jemanden liebt, ist doch eigentlich das letzte was mach möchte, dass sich diese Person etwas antut.“
Dann seufzte sie. Anscheinend kannte sie Nanashi doch nicht so gut, wie sie eigentlich gedacht hatte.

"Ich glaube Liebe ist komplizierter als das, weißt du." Sie ließ ihre Hand auf ihre Stirn fallen.
"Wobei ich auch nicht mehr glaube das es das wirklich jemals Liebe war." Sie dachte an all die Male, an denen sie ihr Angst gemacht hatte, sie versucht hatte am Boden zu halten, sie gegen ihren Willen angefasst hatte. "Dafür hat sie mir viel zu schlimme Dinge angetan." Der letzte Satz war nur noch ein Flüstern.

Schweigend drehte Megumi ihren Kopf wieder in Sayokos Richtung. Sie wollte an das Gute glauben, auch an das Gute in Nanashi. War sich aber nicht sicher, ob da nicht nur wieder ihre Naivität zu ihr sprach, ihre Unwissenheit. Die Tatsache, dass sie bisher noch nicht wirklich Erfahrung mit romantischen Gefühlen gemacht hatte, dass sie Nanashi nie so nah stand, wie Sayoko es tat. Und der Gedanke daran versetzte ihrem Herzen einen Stich.
„Und du bist dir sicher, dass sie zu der Zeit nicht schon… besessen war?“, fragte Megumi ebenso leise, flüsternd, unsicher ob diese Frage überhaupt angebracht war.

Sayoko lächelte traurig.
"Die Frage Stelle ich mir auch jedes Mal. Ich hab... So viel Zeit mit 'Alice' verbracht das ich fast vergessen habe wie 'Nanashi' überhaupt war.."

„Das ist wohl war“, meinte Megumi leise. „Ich frage mich mittlerweile selbst, ob ich Nanashi überhaupt wirklich gekannt habe…“
Sie dachte wieder an den Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Wie schnell Nanashi ein Teil ihrer Gruppe geworden war… Und seufzte erneut.

Sayoko drehte sich schließlich zu ihrer Freundin um und ihr Lächeln wurde sanft.
"Es ist so komisch, das eine Zeit die auf unser Leben gerechnet eigentlich so verdammt kurz ist so viel Einfluss nimmt, oder?" Fragte sie.
"Aber... Danke, Megu-chan. Ich habe da lange nicht mehr drüber gesprochen und ich hab einfach gemerkt wie... Sehr mich das bedrückt hat, irgendwie."

Obwohl sie das Lächeln erwiderte zögerte Megumi mit einer Antwort.
„Keine Ursache“, sagte sie schließlich und tastete nach Sayokos Hand. „Dafür sind Freunde schließlich da.“ Sie setzte wieder dieses beschämte Lächeln auf, wie sie es immer tat wenn sie sich unsicher war. „Und wenn ich dir so helfen konnte freut es mich natürlich.“

Nachdem Megumi ihre Hand ergriffen hatte dauerte es auch nicht lange bis sie eingeschlafen war. Die Nacht war ruhig – sie hatte keine schlechten Träume, obwohl sie aufgrund des Gespräches am Vorabend sich davor ein wenig gefürchtet hatte.
Schließlich kam der nächste Morgen, und Sayoko wachte mit einem Knoten im Bauch auf – sie würde heute zurück nach Hause gehen, und hatte absolut keine Ahnung wie sie den Jungs begegnen sollte. Eigentlich immer noch Schwachsinn, es war ihr Recht, enttäuscht zu sein, und trotzdem konnte sie das Gefühl nicht abschütteln irgendwas Schlimmes getan zu haben.
Nachdem sie sich nochmal gut von Megumi hat zureden lassen und zusammen mit ihr und ihrem Vater gefrühstückt hatte machte sie sich schließlich auf den Weg.
Es war noch relativ früh; Akito würde definitiv noch schlafen, zumindest war das die stille Hoffnung die sie hatte.

Als sie die Haustür der Arakawas öffnete wurde sie auch schon von Akito’s Mutter begrüßt.
„Ah, Sayo-chan, willkommen zurück.“ sagte sie lächelnd während sie in der Küche die Geschirrspülmaschine ausräumte. „Alles in Ordnung bei euch? Die Jungs sahen gestern ganz schön niedergeschlagen aus.“
Sayoko nickte, lächelte leicht. „Schon, denke ich… Sind die zwei oben?“
„Hast du mal auf die Uhr geguckt? Ich weiß zwar nicht wie es bei Yuu-kun aussieht aber mein Nichtsnutz von Sohn wird garantiert noch die nächsten drei Stunden nicht aus seinem Zimmer gekrochen kommen.“ Antwortete Arakawa-san lachend, welches Sayoko mit einem Grinsen erwiderte.
„Ja, alles andere würde wohl an ein Wunder grenzen.“
„Und ich glaube für dieses Wunder ist die Welt noch nicht bereit.“ Arakawa-san stellte einen letzten Teller in den Schrank. „Geh ruhig nach oben, Sayo-chan. Wir können ja später weiter reden.“
Mit den Worten zwinkerte sie ihr zu. Sayoko nickte und verließ die Küche, spürte wie ihr Herz immer schneller schlug. War es wirklich in Ordnung einfach wieder zu kommen als wäre nichts gewesen? Dabei war sie ja diejenige gewesen die sauer und enttäuscht war, eigentlich war die Frage totaler Schwachsinn. Natürlich war es in Ordnung, und das es etwas war was sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen musste zeigte nur wie viel sie eigentlich noch zu lernen hatte.
Schließlich blieb sie vor dem Zimmer, welches sie das letzte halbe Jahr bewohnt hatte, stehen und zögerte kurz. Sollte sie anklopfen? Einfach reingehen? Eine Mischung aus beiden?
Sie schüttelte den Kopf, klopfte dann aber trotzdem, nur um behutsam die Tür zu öffnen.
„Yuu?“ fragte sie vorsichtig und trat einen Schritt in den Raum.

Obwohl er am Vorabend noch ein langes Gespräch mit Akito geführt hatte und auch Sayokos Nachricht ihn beruhigt haben sollte, so hatte Yuudai die Nacht über doch Schwierigkeiten gehabt, Ruhe zu finden. Immer wieder kreisten seine Gedanken um ihre Worte und er stellte seine eigene Entscheidung in Frage. Klar, er hatte nur das Beste für sie im Sinn gehabt - verdammt noch Mal, er hatte Akito auch noch dazu animiert ihm zu glauben. Nicht eine Sekunde hatte er daran gedacht, dass Sayoko mittlerweile stabil genug war, es zu vertragen. Dabei hätten sie von anfang an damit rechnen müssen, dass Alice sie selbst aufsucht und alles sagen wird.
So kam es, dass er bereits seit einer Weile wach war und darüber nachdachte, wie er sich wirklich entschuldigen konnte. Und versuchte sich dabei einzureden, dass er ihr wieder mehr Freiheit lassen sollte.
"Komm rein", sagte er nur, als sie an der Tür klopfte und ins Zimmer blickte. Versuchte nicht allzu kalt zu klingen, konnte aber nicht ganz verhindern, dass seine Müdigkeit mit durchdrang.

Ein leichtes Lächeln überkam ihre Lippen als sie ihren Freund erblickte.
"Du siehst fürchterlich aus." Sagte sie neckend, Ehe sie die Tür hinter sich schloss und sich neben ihn aufs Bett setzte.
Sie überlegte, wie man dieses Gespräch am Besten anfangen konnte, und ob es überhaupt notwendig war das überhaupt zu führen. Immerhin wusste er ja das die beiden Scheiße gebaut und Sayoko enttäuscht haben - aber gleichzeitig war es vielleicht auch genau das wichtig zu kommunizieren, nochmal in Ruhe, jetzt wo sich alle Gemüter beruhigt haben.
"Weißt du, das schlimmste an jahrelanger Manipulation ist das man ständig seine eigenen Gefühle in Frage stellt." Begann sie schließlich vorsichtig und spielte mit ihren Händen.
"Ich hab mich gestern die ganze Zeit gefragt ob ich nicht übertrieben habe. Und ob ihr nicht Recht damit hattet mir nichts zu sagen. Immerhin bin ich wirklich nicht die stabilste Person und auch das ich die Begegnung mit Alice gestern weggesteckt habe hätte ich auch niemals von mir erwartet, ehrlich gesagt."
Sie lachte kurz, bitter. "Zwischenzeitlich hatte ich sogar ein schlechtes Gewissen darüber das ihr euch wegen mir den Kopf zerbricht und hatte das Bedürfnis mich zu entschuldigen, dafür das ich enttäuscht war. Das ist doch total bescheuert, oder?"

Trotz aller Müdigkeit konnte er nicht anders als zu lächeln. Ja, er sah furchtbar aus. Aber das lag nicht an ihr, auch wenn sie das scheinbar immer noch im HInterkopf dachte.
Stattdessen legte er eine Hand auf ihre Schulter.
"Das Gehirn gibt einem manchmal bescheuerte Gedanken. Gerade wenn man durch dieselben schlimmen Dinge gegangen ist wie du", antwortete er müde, wich ihrem Blick dann aus. "Dabei war deine Enttäuschung gerechtfertigt. Es tut mir Leid, dass ich... wir deine Fortschritte nicht bemerkt und nicht ausreichend gewürdigt haben. Wir hätten dir gleich von dem Vorfall erzählen sollen."