Central Hell Goddess 2

„Ich habe mich falsch ausgedrückt“, antwortete Seth seufzend und überlegte, wie er es anders in Worte fassen konnte.
Schon seit einer Weile hatte er überlegt, ob er es irgendwie schaffen konnte, Liam dazu zu bringen Nuira zu suchen. Doch benötigte er dazu einen Grund, eine Möglichkeit ihn überreden zu können. Doch gleichzeitig war das nicht der einzige Grund. Er wollte ihm helfen. Ihm eine Möglichkeit geben, einen eigenen Weg zu finden. Doch wie fasste er das am besten in Worte?
„Ich frage mich nur, ob du nicht vielleicht einen eigenen Weg finden möchtest. Nicht hier im Land, aber an einem anderen Ort.“ Er schüttelte dann jedoch den Kopf. „Ich verstehe aber, wenn du möglichst schnell Hilfe suchen möchtest. Nur, ist das wirklich etwas, was du möchtest? Oder willst du das nur, weil es das ‘richtige‘ ist?“

Liam atmete tief ein. Wenn dies wirklich ein Produkt seines verdorbenen Verstands war, dann muss er wahrlich verrückt geworden sein - wieso sonst stellte dieser Engel ihn diese Fragen,, so, als hätte er ihn durchschaut? Als würde er wissen was in ihm vorgeht?
"Spielt irgendetwas davon denn eine Rolle?" stellte er schließlich die Gegenfrage. "Ist ja nicht so als würde das irgendwas am Endergebnis ändern."

Eigentlich war es nur eine Idee gewesen, ein Versuch. Er hatte den Eindruck gehabt, dass in Liam irgendetwas vor sich ging, er eher unzufrieden war. Nun fragte er sich, ob er damit Recht behalten hatte oder nicht.
"Du könntest dein Schicksal zu einem gewissen Grad selbst in die Hand nehmen", antwortete er sanft. "Ich hatte den Eindruck, das würdest du gerne tun. Verzeih mir, wenb ich mich auch darin geirrt habe."

Liam schwieg, den Blick ins Leere gerichtet.
Stimmte das? Würde er gerne sein eigenes Schicksal bestimmen? Selbst wenn er nicht mal wusste wie das aussehen sollte; wie denn, wenn er nicht mal wusste wer er überhaupt war - es nicht einmal etwas gab was er mochte, ihn wirklich interessierte, eine andere Gefühlsregung außer Leere und Bitterkeit in ihn auslöste.
"Ich weiß nicht was ich tun möchte." erwiderte er schließlich, leise, und war selbst überrascht wie schwach seine Stimme dabei klang. "Bis jetzt hatte ich auch nicht das Gefühl das es in irgendeiner Form wichtig wäre."

Er bemerkte die Trauer in ihm. Mit seiner Aussage hatte er wohl irgendetwas tief in dem jungen Prinzen ausgelöst, was ihn glauben ließ dass er genau richtig lag. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in ihm aus. War Liam nur überfordert, oder wünschte er sich ganz tief, sein Leben selbst bestimmen zu können? Seth war sich unsicher. Und fühlte sich gleichzeitig schlecht dafür, dass er ihn indirekt benutzen wollte.
Er bemerkte, dass er zu lange überlegte. Wollte den Jungen nicht noch mehr verunsichern als er es ohnehin schon getan hatte.
"Vielleicht solltest du mit Aimee darüber reden", schlug er schließlich vor. "Selbst wenn sie so tut als würde sie dich hassen glaube ich, dass sie Verständnis für deine Situation haben und dir zuhören würde."
Und das würde sein weiteres Leben vielleicht auch verbessern, schoss es ihm zusätzlich durch den Kopf. Gerade in Anbetracht dessen, dass sie irgendwann heiraten würden.

Ein weiteres, leises Lachen entfuhr seine Kehle.
"Als ob."
Er würde niemals drüber reden - es würde nichts ändern. Er konnte seine Rolle nicht wählen, seinen Weg nicht mehr ändern. Immerhin war er Thronerbe. Und das Einzige, was er damit bezwecken würde, wäre falsches Mitleid, und - das war das Schlimmste - er würde alle enttäuschen, ein Gedanke, den der junge Prinz nicht ertragen hatte.
"Sie würde mich nur erst Recht hassen wenn sie merkt was für ein gefühlskalter Abschaum ich in Wirklichkeit bin. Und ich weiß nicht ob ich das für den Rest meines Lebens ertragen würde."

"Oder sie wäre glücklich darüber zu wissen, was hinter deiner Maske steckt", erwiderte Seth. Versuchte dabei selbst, sich an die Zeit zu erinnern als er selbst verheiratet war. Eine Sache, die bereits so viele Jahrhunderte zurück lag, dass sie nur noch eine bruchstückhafte Erinnerung war. Eine von vielen, die er so lange zurück gelassen hatte.
Und eine, die ihn wieder schmerzlich daran erinnerte, dass er auch dieses Mal seiner Geliebten nicht retten konnte, die nun bereits seit Jahren verschwunden war. Und die er einfach nur wieder finden und retten wollte.
Er schüttelte den Kopf, versuchte die Erinnerungen und Gefühle abzustreifen. Gerade hatte er hier weder seine Liebste, noch seine bereits lange verstorbene Frau vor sich - sondern einen jungen Mann, den er all die Jahre beobachtet und in sein Herz geschlossen hatte. Den er selbst verstehen und auf die richtigen Pfade führen wollte. Er war sich sicher, auf diese Art würde er auch die Mission erfüllen können, die Nuira ihm aufgetragen hatte. Besser, als wenn er ihn manipulierte und benutzte.
"Natürlich weiß ich nicht, was in ihrem Kopf vor sich geht", überlegte er schließlich laut. "Aber ich kann es vielleicht herausfinden."

"Man sollte meinen Gottesgesandte haben eigentlich besseres zutun." erwiderte er in einem sarkastischen Unterton.
"Aber mach was du willst. Letzten Endes ist es mir egal was sie denkt."
Obwohl er sich den letzten Satz selbst nicht so ganz glaubte; etwas in ihm hatte Angst vor der Vorstellung, mit einer Frau verheiratet zu sein, welche ihn bis aufs Blut verabscheute.
Er wünschte sich, Aimee wäre eine der anderen dummen, einfachen Frauen gewesen, die man einfach zufrieden stellen konnte. Den man einfach das perfekte, einstudierte Lächeln zeigen konnte und ihnen den liebevollen Mann vorspielte damit sie zufrieden waren. Das außergerechnet sie diejenige war, die ihn durchschaut hatte, war einfach nur eine weitere Geißelung des Lebens gewesen.

Seth lachte auf.
"Zugegeben, ich wurde von den Göttern zu dem, was ich heute bin. Allerdings könnte man sagen, dass ich in gewisser Weise eher für den 'Teufel' arbeite als für sie", gestand er und hoffte, damit kein Misstrauen zu säen. Da Liam jedoch selbst nicht an die Götter glaubte, würde es ihm wohl ohnehin egal swin. Offiziell war Seth schließlich trotz allem ein göttlicher Gesandter.
"Und glaube mir, du wirst glücklicher in einer Ehe, in deran sich gegenseitig vertraut und die nicht auf Lügen aufbaut", fügte er ernst, abed dennoch sanft und freundlich hinzu.

"Das trifft vielleicht auf nicht arrangierte Ehen zu." antwortete er, und drehte sich wieder auf die Seite.
"Wie gesagt, mach was du willst. Letzten Endes kannst du doch eh nicht viel bewirken."
Wie auch? Selbst wenn es stimmte, was der Engel sagte, und er keine Hirngespinste von Liam war - er war der Einzige der ihn sehen konnte, der mit ihm reden konnte. Was sollte er dann schon bewirken können? An seinem Schicksal ließ sich eh nichts mehr ändern. Egal ob er jetzt für die Götter oder den Teufel arbeitete, Liam würde sich niemals verlieben können, würde niemals etwas anderes werden können als König das Windreiches - wenngleich er wohl kein sonderlich guter Herrscher werden würde.

Seth sagte dazu nichts weiter, entschied, Liam seine Ruhe zu lassen. Er wusste nicht, ob er ihm mit seinen letzten Worten geholfen hatte oder nicht, hoffte, das dafür nun die Gedanken in den Kopf des Prinzen gebrannt worden waren, dass er vielleicht doch selbst daran dachte, sein eigenes Leben verbessern zu wollen. Doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass diese Hoffnung umsonst war. Wenn er eines in der Familie der Winderias gesehen hatte, dann dass sie alle stur waren. Und Liam wohl so tief in seinen Gedanken und Pflichten gefangen, dass es schwierig würde umzudenken.
So entschied er, nach dessen Verlobter zu schauen. Er wusste, dass Aimee sehr gottesfürchtig und Religiös war, sie vielleicht auch eine hohe, göttliche Resonanz haben würde. Sie könnte jemand sein, die in der Lage war, zumindest seine Stimme zu hören. Wenn er mit ihr im richtigen Augenblick reden konnte, könnte er sie vielleicht darauf ansetzen… Auf jeden Fall war ihm klar, dass er Liam nicht direkt sagen sollte, sagen würde was er konkret von ihm erwartete. Zumindest jetzt noch nicht.

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Aimee stand am Fenster, beobachtete die tanzenden Schneeflocken. Noch immer dachte sie an die Leute vor den Toren, die verzweifelt versuchten in die Stadt zu kommen. Nachdem sie selbst durch die Stadt geführt worden waren, hatte sie erst bemerkt wie voll der Ort eigentlich war. Wie viele Bettler in den Gossen saßen, wie voll der Marktplatz gewesen war. Dass keiner dieser Menschen in den nahen Tempel weiter gewandert war, irritierte sie hierbei. Sie wusste, dass die Tempel häufig Flüchtlinge und Schutzsuchende aufnahmen. Warum also ließ der Fürst die armen Leute lieber vor den Toren sterben? Auch heute Nacht würden unzählige Menschen in der Kälte erfrieren, da war sie sich sicher.
Sie seufzte. Ihr Vater würde das mit Sicherheit nicht gutheißen, sofern es keine ordentliche Begründung dafür gab. Doch war es überhaupt ihr Recht, etwas dagegen zu tun? Schließlich würde sie irgendwann ins Windreich ziehen, hätte hier nur noch bedingt in der Politik mitzureden.
Ihre Hand tastete nach dem göttlichen Anhänger, den sie immer mit sich trug, nahm ihn in beide Hände und begann zu beten. Für möglichst wenig Kälteopfer, für eine möglichst milde Nacht… Dafür dass es ihrer Familie und den Soldaten in Artill gut ging, die Aufstände bald beruhigt waren – und die verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden. Sie wusste, dass ihnen die Todesstrafe drohen würde, doch ihr Mitleid damit hielt sich dennoch in Grenzen. Schließlich waren sie diejenigen, die unnötigerweise Menschen in einen Kampf gezogen hatten, den sie nicht hätten führen sollen. Unschuldige, die friedlich hatten Leben wollen. Wie viele wohl ihr Leben allein bei den Explosionen gelassen hatten? Sie wusste es nicht.
„Ihr habt ein gutes Herz“, hörte sie schließlich eine unbekannte Stimme.
Aimee schlug die Augen auf, sah sich in ihrem Zimmer um. „Wer ist da?“, wollte sie wissen und sah doch niemanden in ihrem Raum. Hatte sie sich das nur eingebildet?
Die Stimme lachte. „Ihr könnt mich nicht sehen. Ich spreche in Eurem Geist zu Euch.“
„Durch meinen Geist?“ Aimee blickte sich fragend um, ehe sie ihr göttliches Siegel bemerkte… Konnte es etwa sein… Sie umfasste es fester. „Seid Ihr eine Stimme der Götter?“
„So ist es“, jetzt mit geschlossenen Augen fiel es ihr leichter, die Stimme zu vernehmen. Sie klang sanft, freundlich. Und sie war sich sicher, dass es die Stimme eines Mannes war.
„Es ehrt mich, dass Ihr gerade mit einer bescheidenen Dienerin wie mir redet“, antwortete sie ehrfürchtig und ging dabei in die Knie. Erneut lachte di Stimme.
„Erhebt Euch, Prinzessin. Ich bin nichts weiter als ein einfacher Diener im Auftrag meiner Götter.“
Sie schüttelte den Kopf. „Allein das macht Euch zu einem mächtigeren Wesen, als ich es je sein werde.“
Als die Stimme eine Weile darauf schwieg, spürte sie Unruhe in sich aufkommen. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Hatte sie ihn erzürnt? Zögernd erhob sie sich wieder.
„Ihr unterschätzt Eure Macht, Prinzessin Aimee“, sagte die Stimme schließlich. Es wirkte so, als würde sie nun vom hinteren Bereich des Zimmers zu ihr sprechen. „Euer Einfluss ist schon jetzt stärker als Ihr glaubt, ich bin mir sicher, dass Ihr etwas bewirken könnt, wenn Ihr mutig genug seid darüber zu sprechen.
„Was sagt Ihr da?“, fragte sie. „Ich werde Königin des Windvolkes, warum sollte meine politische Macht bei meinem eigenen Volk überhaupt Gehör finden. Früher oder später werde ich für sie doch ohnehin zweitrangig sein.“
Erneut lachte die Stimme. „Das heißt jedoch nicht, dass Ihr nichts bewirken könnt.“
Die Stimme hielt erneut inne und auch Aimee wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Natürlich, einen Versuch war es wert, doch sie war sich ziemlich sicher, dass sie nichts tun kannte.
„Vielleicht wäre der Anfang, mit Eurem Verlobten zu reden?“
Aimee zuckte zusammen, spürte, wie die Wut in ihr aufkam. „Mit Liam?“, fragte sie und bemühte sich, nicht angewidert zu klingen. „Dieser Mann, der ständig diese falsche Maske trägt? Warum sollte ich mit ihm reden wollen.“
„Nicht immer ist alles, wie es scheint“, erneut erklang die Stimme aus einer anderen Ecke des Zimmers. Aimee schwieg darauf. „Schaut hinter die Maske des Prinzen, findet heraus, wie er in Wahrheit ist. Dann werdet Ihr verstehen, was ich meine.“
Erneut seufzte sie. „Warum sollte ich Interesse daran haben?“
„Es würde nicht nur euch beiden das Leben erleichtern, sondern auch eurer Beider Seelen helfen“, die Stimme wirkte als würde sie allmählich wieder verschwinden. „Versucht es. Ich bin mir sicher, Ihr werdet Erfolg haben.“ Er hielt kurz inne, bevor er leise, fast flüsternd noch hinzufügte: „Es ist der Wille der Götter.“
„Der Wille der Götter“, antwortete Aimee und öffnete ihre Augen, als könnte sie die Person sehen mit der sie geredet hatte. Doch ihr Zimmer war nachwievor leer. „Wie soll ich das anstellen?“
Doch die Person antwortete ihr nicht mehr.

Das Abendessen mit Fürsten Le Grant endete als steife, langweilige Veranstaltung, in der er zwar einige wenige Informationen preisgab, allerdings in erster Linie Informationen aus ihnen herausholte. So erfuhren sie, dass er in Wahrheit große Angst vor einem ähnlichen Anschlag hatte, wie er in Artill stattgefunden hatte. Aimee hatte sogar den Eindruck, dass er nach ihren Ausführungen noch größere Angst entwickelt und sich sehr schnell zurückgezogen, ohne ihnen ihre Fragen zu beantworten. Die einzige Information, die sie letztlich erhalten hatten, war dass sich der Transporter wohl in fester Hand des Tempels befand und sie daher diesen aufsuchen sollten.
Da sie beide jedoch vollkommen müde und erschöpft waren, hatte Aimee entschieden Liam nicht direkt darauf anzusprechen. Schließlich war es vor allem er, der nach Hause wollte. Wenngleich auch sie zugeben musste, dass ihr die Unruhen große Angst bereitet hatten.
Und doch entschieden sie, den Tempel bereits am Folgetag aufzusuchen. Da Le Grant ihnen jedoch keine Soldaten unterstellen wollte, zeigte er ihnen dafür einen Geheimgang, der sie in ein kleines Gebetshaus mitten in der Stadt führte – zusammen mit einer Erklärung, wie sie zum Tempel gelangen konnten.
Das Gebetshaus selbst war sehr schlicht gehalten, die Wände aus einfachem Stein gehauen, mit schmalen Säulen die die Wände stützten, die mit einfachen Malereien versehen waren, deren Farbe bereits verblasste. Da Liam das kleine Gebäude im Stadtzentrum jedoch schnell verließ, blieb ihr allerdings nicht ausreichend Zeit, um den Raum genauer zu betrachten.
Die Straßen waren für diese Uhrzeit jedoch erstaunlich leer. Der frische Schnee war teilweise festgefroren und lieferte glitzernde, glatte Stellen, die sie nach Möglichkeit versuchten zu meiden. Schnell orientierten sie sich und nahmen dann den Weg in Richtung des Tempels, den Le Grant ihnen genannt hatte.
„Er ist wirklich sehr paranoid“, murmelte Aimee, nachdem sie eine Weile schweigsam nebeneinander gelaufen waren. Dabei ließ sie ihren Blick schweifen. Die Tatsache, dass er sie ohne Soldaten los geschickt hatte irritierte sie ein wenig, nicht zuletzt da sie und Liam eigentlich in der Bevölkerung eigentlich verschrien waren – zumindest sollten bereits Rebellen ihren Weg in die Stadt gefunden haben. Andererseits konnten sie sich auf diese Art sicherer bewegen, unauffälliger. Sie seufzte und versuchte ihre Gedanken wieder zu ordnen. Le Grants Paranoia schien bereits auf sie abzufärben, dabei war es gerade jetzt wichtig, dass sie einen kühlen Kopf behielten.

Liam schreckte ein wenig auf, als Aimee nach langem Schweigen die Stimme erhob.
Den kompletten Weg war er in Gedanken versunken - nicht zuletzt auch über die Dinge, die Seth zu ihm gesagt hatte, aber auch die Unruhen, die sich immer mehr offenbarten und größer waren als sie zu Anfang schienen, beschäftigen ihn irgendwie.
Wenn selbst unter fähigen Politikern das Volk anfing zu rebellieren, wie sollte es erst bei ihm werden? Obwohl man Liam sein Leben lang darauf vorbereitet hatte, ihn regelrecht eintrichterte das er ein guter, perfekter König werden würde, so merkte er wie immer mehr Zweifel in ihm hoch kamen. Allein schon deshalb, weil er nicht einmal die Kraft hatte, sein eigenes Leid zu ertragen - wie also sollte er das von einem ganzen Volk auf den Schultern tragen, vorallem nicht wenn ihn dahingehend einfach jegliche Empathie fehlte, es ihm nicht einmal wirklich nahe ging? Oder war das doch auch wieder nur eine Form von Selbstschutz?
Er wusste es nicht mehr, hatte das Gefühl als würde seine Persönlichkeit ihn noch weiter entgleiten, als würde er niemals wissen wer er wirklich war oder sein wollte.
"Wundert dich das?" Antwortete er schließlich und bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. "Die Sache ist immerhin größer als ursprünglich angenommen. Außerdem wirkte er nicht gerade als wäre er der Krone treu ergeben, andernfalls hätte er nicht unseren Hals riskiert. Ein typischer, politischer Oppoturnist."
Sein Tonfall war wie gewohnt überheblich, arrogant. Obwohl Seth etwas anderes sagte, so fürchtete er sich noch immer vor dem was wäre, wenn Aimee wusste wie leer er eigentlich war. Außerdem hatte er irgendwie Gefallen an den Kabbelein mit ihr gefunden, etwas, was er niemals für möglich gehalten hätte; aber sie wütend zu sehen amüsierte ihn irgendwo, löste irgendetwas in ihm aus. Etwas, was er nicht aufgeben wollte; selbst wenn es nur daran lag weil es ihn niemals vergessen ließ was für ein schlechter Mensch er wirklich war. Vielleicht war es eine kranke Form der Selbstgeißelung - so oder so, es machte etwas mit ihm, etwas, was er nicht so schnell wieder loslassen wollte.

Kaum hatte er geantwortet, bereute sie es auch schon die Stille gelöst zu haben. Sie dachte wieder an die Stimme, die mit ihr gesprochen hatte. Sie sollte hinter diese Maske blicken? Hinter diese Maske aus Arroganz und Selbstverliebtheit? Wollte sie überhaupt wissen, was für eine Art Mensch dahinter steckt? Auch wenn es ein Befehl, ein Wunsch der Götter war, so spürte sie doch wie sich in ihr alles zusammen zog bei dem Gedanken.
„Das mag vielleicht sein“, antwortete sie und bemühte sich selbst um einen neutralen Tonfall. „Dennoch sollte er wissen, dass er auf diese Art alles nur noch schlimmer machen könnte.“
Nicht zuletzt auch weil sie glaubte gehört zu haben, dass die Tempel sich normalerweise um Flüchtlinge und Asylsuchende kümmerten. Gerade hier lag zumal direkt einer der Größeren. Aber gut, die Angst vor Anschlägen war dennoch groß und das konnte sie doch nachvollziehen. Ihre Gedanken schweifen zu dieser merkwürdigen Frau, die gefangen genommen wurde. War sie wirklich eine Terroristin gewesen? Eine Terroristin, dumm genug vor den Augen der Soldaten ihre Pläne zu offenbaren?

"Ist dem denn so?" Stellte er als Gegenfrage. "Wie mir scheint ist euer Volk aktuell ziemlich unzufrieden mit der Lage, versteht aber nicht das die Krone nicht groß daran was ändern kann. Es zeigt nur das der Fürst selbst keinen Großen Glauben an deinen Vater hat und sich alle Möglichkeiten offen halten will. Wir können wahrscheinlich froh sein das er uns nicht den Bauern zum Fraß vorgeworfen hat."
Er dachte an die Blutmonde, die sich mehr und mehr häuften, und unweigerlich an seine Schwester, welche dem so verzweifelt auf dem Grund gehen wollte. Sicher, es würde gewiss einige Probleme lösen, aber Liam war sich nicht sicher ob es das Volk wirklich zufrieden stellen konnte - immerhin suchten sie einen Schuldigen, brauchten ihn wahrscheinlich auch. Und wer bot sich besser an als die Krone?
Auch dachte er an das, was Seth ihm sagte. Das Glenn, Aimees Vater und hiesiger König, beim Anschlag wohl verletzt worden war. Vielleicht war es besser, wenn sie davon nichts wusste - ansonsten würde sie sich nur unnötig Sorgen machen und vielleicht auf dumme Ideen kommen. Wobei sie ihm wohl eh nicht glauben würde, so hatte er diese Informationen doch von einem körperlosen Wesen bekommen.

„Ich meine in erster Linie die Leute, die vor dem Tor ausgesperrt sind“, antwortete sie leicht gereizt und bereute es, dieses Gespräch angefangen zu haben. „Natürlich verstehe ich die Intention dahinter, sich selbst beschützen zu wollen. Aber auf diese Art facht man, wie gesagt, nur die Wut noch weiter an.“
Sie richtete ihren Blick nach vorne und seufzte. Auf der einen Seite hatte sie schon Mitleid mit den Leuten, aber wenn sie genauer darüber nachdachte, wusste sie auch nicht was man dagegen tun sollte. Wie man ihnen helfen konnte. Man musste ihnen vielleicht zeigen, dass die Fürsten unabhängig handelten und sie bezweifelte, dass ihr Vater davon überhaupt wusste. Und selbst wenn, hätte er sehr wahrscheinlich noch ganz andere Sorgen als das…
Sie erreichten den Pfad, der den Berg hinauf zum Tempel führte. Er war breit genug, dass auch kleine Wägen hinauf fahren konnten, beide Seiten waren mit einer Steinmauer eingeschlossen. Der Boden wirkte nass, doch den Schnee schien man weg geschafft zu haben. Dennoch zog es Aimee vor, sich am Geländer empor zu hangeln. Nun sollte es auch nicht mehr weit bis zum Tor zu sein.

Liam zuckte die Schultern.
"Mag sein, aber selbst eine Stadt wie diese hat nur begrenzt Ressourcen. Man kann nicht jeden hungrigen Magen füllen oder für jeden ein warmes Bett zur Verfügung stellen." Er blickte gerade aus, in Richtung des Berges.
"Natürlich sage ich nicht das es richtig ist die Leute vor den Toren hungern oder sie den Dämonen zu überlassen. Trotzdem.."
Weiter traute er sich nicht zu sprechen. Er dachte zurück an die Bilder vor den Toren, vor der Angst, der Panik der Leute. Er wusste, welchem Leid sie ausgesetzt waren, und trotzdem... Er erwischte sich bei dem Gedanken, dass er es wohl ähnlich wie der Fürst handhaben würde, auch wenn es wohl grausam war. Aber was brachte es, sich noch mehr Leute in die Stadt zu holen, wenn man diese nicht einmal mehr versorgen konnte?

„Hmm…“, antwortete sie nur, ließ seine Worte für eine Weile auf sich wirken.
Auch wenn es ihr Zuwider war, musste sie gestehen dass er Recht hatte. Den Aspekt der Ressourcen hatte sie nicht bedacht, zumal es auch erklären würde warum er nicht unbedingt begeistert gewesen war, sie nun aufnehmen zu müssen. Auch wenn der Fürst so getan hatte, als wären sie Willkommen… Wenn die Ressourcen der Stadt wirklich so knapp waren…
„Wahrscheinlich hast du Recht“, gestand sie schließlich kleinlaut. „An die Ressourcen hatte ich nicht gedacht. Gerade Lebensmittel sind hierzulande schwierig einzuteilen. Da würde es tatsächlich so Sinn ergeben…“
Und sie wusste spontan nicht, wie man etwas dagegen ändern konnte, so grausam der Gedanke daran auch war. Wie viele Menschen wohl die letzte Nacht schon nicht überlebt hatten?
Vor ihnen erstreckte sich eine leichte Kurve, hinter der sich schließlich ein reichlich verziertes Tor abschälte, verziert mit verschiedenen Skulpturen, die in die Mauern eingearbeitet worden waren. Anders als der Rest der Stadt hatte man hier wieder mit Magie gearbeitet, Verzierungen aus Schnee und Eis geschaffen, die von sich aus zu leuchten schienen. Bei genauerer Betrachtung erkannte Aimee mehrere Tiere, die sich das Tor nach oben schlängelten.
Doch bereits nach kurze Zeit wurde ihnen auch hier klar: das Tor war verschlossen. Soldaten standen davor und kreuzten ihre Speere, um ihnen den Zugang zu verweigern.

Liam erwischte sich dabei wie seine Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln formten Bd war selbst überrascht. Hatte sie ihm etwa Recht gegeben?
"Man legt uns diese Bürde auf ohne das uns jemals wirklich klar gemacht wird, wie schwer sie eigentlich ist." Erwiderte er schließlich trocken.
Vielleicht war es besser das er emotional so distanziert war - vielleicht würde es ihn wirklich zu einem besseren Herrscher machen. Vielleicht würde er all das Leid ertragen können, ohne seinen Verstand zu verlieren. Vielleicht war das der Grund, weshalb er war, wie er war, und ganz vielleicht war es am Ende sogar etwas Gutes? Immerhin waren es am Ende sowieso immer die Frauen, die für das Emotionale gut waren.
Aber egal wie sehr er sich das einreden würde, tief im inneren wusste er trotzdem das es einfach nur ein verzweifelter Versuch seinen Wahn als Normalität hinzustellen.

Als die zwei schließlich das Tor erreichten war er seiner Verlobten einen kurzen Blick zu - wenn sie passieren wollten mussten sie sich erkenntlich zeigen, und es würde gewiss den Missgunst der wartenden Bevölkerung wecken.

„Das Tor bleibt verschlossen. Ich muss Euch bitten, umzukehren“, sagte einer der Soldaten mit strengem Blick, kaum dass sie sich ihm genähert hatten. Tiefe Falten und ein silberner Bart zierten sein Gesicht und unterstrichen dabei seine Strenge.
Aimee setzte ein freundliches Lächeln auf. „Wir würden gerne zum Tempel“, meinte sie und sah sich kurz um, ehe sie das Siegel ihres Vaters hervorzog. Als der Blick der Soldaten darauf fiel, verzogen sie jedoch keine Miene. Stattdessen jedoch schüttelte er ernst den Kopf.
„Selbst wenn wir könnten, das Tor bleibt verschlossen“, antwortete er stur.
Erst jetzt bemerkte sie die magische Ausstrahlung, die vom Tor ausging. Die Verzierungen, die sich nicht nur um den Torbogen, sondern auch um das heruntergelassene Gitter schlängelte. Es schien mit Magie versiegelt worden zu sein.

"Ich fürchte euch ist nicht bewusst wen ihr hier vor euch habt." Erwiderte Liam kalt, seinen Blick abwertend auf den Soldaten gerichtet. "Oder möchte der Fürst doch in die Ungunst von gleich zwei Königshäuser fallen? Ich bin mir sicher König Glen wäre nicht drüber erfreut das man seiner eigenen Tochter die Chance auf Zuflucht verwehrt."
Unwillkürlich musste er an seinen eigenen Vater denken, welcher wahrscheinlich nicht einen Gedanken an ihn verschwenden würde.

Zunächst machte es nicht den Eindruck, als ließen sich die Soldaten dadurch beeindrucken. Doch dann bemerkte Aimee eine gewisse Anspannung im Gesicht des Jüngeren, die sie für einen Augenblick Schmunzeln ließ – dennoch machten sie keinerlei Anstalten, das Tor zu öffnen.
Schließlich seufzte der Sprachführer und schüttelte den Kopf.
„Wie ich schon sagte, wir können Euch nicht durch das Tor lassen.“
Aimees gute Laune wich einem ihrerseits ernsten Blick. „Ich hoffe Ihr habt auch eine Begründung dafür.“
Der Mann blickte kurz zum Tor und deutete dann auf das schimmernde Eis, das sich in die Holzstäbe gefressen hatte.
„Die Tempeldiener haben das Tor mit ihrer Magie versiegelt“, erklärte er kühl. „Solange der Fürst nicht tut, was sie möchten werden sie diese Magie nicht auflösen.“

"Und dem Fürsten ist das nicht bewusst?" Fragte Liam schließlich, nachdem er die Aussage für einige Sekunden verarbeiten musste.
Schließlich war er es gewesen, der die beiden von dem Teleporter berichtet hatte. Wenn er die zwei wirklich in die Richtung gebracht hatte, in dem wissen das es sich lediglich um Zeitverschwendung handelte war er entweder ein ziemlicher Narr oder aber ihm war wirklich nicht die aktuelle Lage hier bewusst, was ihn als nur noch unfähigeren Herrscher auszeichnen sollte.
So oder so, die beiden brauchten einen neuen Plan - Liam wusste das selbst er es nicht mit der Magie von vielen aufnehmen könnte.

Sekunden verstrichen, ohne dass sie eine Antwort erhielten. Aimee versuchte in den Gesichtern der Männer zu lesen, doch während der jüngere eine gewisse Anspannung zeigte, blieb der ältere weiteren regungslos.
„Ich muss Euch bitten zu gehen“, beharrte der Ältere schließlich, den Blick ernst gesenkt. „Dieses Tor ist bereits seit Wochen versiegelt. Ich kann euch auch nicht sagen, warum Fürst Le Grant euch nichts gesagt hat. Aber es wäre besser für euch, wenn ihr gehen würdet.“
Erst jetzt bemerkte sie kleine Schweißperlen auf der Stirn des Soldaten, der die ganze Zeit über so kühl und distanziert wirkte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, das sie sich jedoch nicht anmerken ließ. Stattdessen berührte sie für einen kurzen Moment Liams Arm, wollte ihm bedeuten, dass sie sich etwas abseits beraten sollten – als plötzlich der laute Knall einer Explosion in der Nähe des Fürstensitzes erklang.