Central Hell Goddess 2

Aimee seufzte und zog ihre Hand schließlich zurück, wodurch sich die Verbindung endgültig auflöste. Für einen kurzen Augenblick wurde ihr schwindlig, als die zusätzliche Manazufuhr gekappt wurde, doch schaffte sie es, sich auf den Beinen zu halten. Jetzt musste nur noch ihr Herzschlag sich beruhigen, wenngleich sie jedoch nicht unglücklich darüber war, dass das Kribbeln nachgelassen hatted.
„Siehst du, alles gut“, antwortete sie patzig, ließ sich aber trotzdem auf einem nahen Felsen nieder. „Ich brauche nur eine kurze Pause.“
Das Gesicht immer noch tiefrot vermied sie es weiterhin, ihm in die Augen zu schauen. Natürlich, es war notwendig gewesen. Dennoch fühlte sie sich irgendwie seltsam, konnte es nicht wirklich erklären was sie spürte. Solange sich ihr Herz langsam beruhigte sollte alles gut sein.

Liam beäugte sie kritisch.
"Bist du dir sicher?" fragte er verächtlich lächelnd. "Ich habe kein Problem damit dich zurückzulassen, solltest du doch umfallen."

„Versuch’s doch. Ohne mich kommst du im Zweifelsfall sowieso nicht zurück“, antwortete sie nach wie vor patzig. Dann seufzte sie erneut schwer.
„Weißt du eigentlich wie anstrengend es ist, sich den ganzen Weg über darauf zu konzentrieren, die Magie nicht loszulassen?“
Eigentlich hatte sie keine Lust auf diese Diskussion, sie wollte sich nur kurz ausruhen. Aber das wollte dieser gewisse Mann, der sich ihr Verlobter schimpfte wohl nicht verstehen.

"Ich habe dich anscheinend überschätzt, Teuerste. Mein Fehler."
Er sah, wie erschöpft sie war, und ihr falscher Stolz belustigte ihn irgendwo. Er hätte ihr diesen Zustand ersparen wollen, und dennoch.. sie musste ihn wohl wirklich hassen wenn sie lieber die Ermüdung in Kauf nahm als länger als nötig mit ihm verbunden zu sein, wobei er ihr das auch wirklich nicht verübeln konnte.

Sie konnte ihn ohnehin nicht leiden, aber gerade empfand sie ihn als unausstehlich. Fast wünschte sie sich, sie könne ihn einfach in den Fluss zurückwerfen… Wobei sie wusste, dass diese Gedanken nur durch ihre Erschöpfung und Anspannung kam. Ihr war selbst klar, dass sie es eigentlich nur ihm zu verdanken hatte, dass sie diesen Weg überhaupt hatten zurücklegen können.
Nur dass er wirklich überhaupt keine Zeichen von Erschöpfung zeigte machte sie irgendwie wütend. Und sie spürte, wie sie sich fast schwach im Vergleich zu ihm fühlte. Klar, sie wusste von seinem außergewöhnlich starken Manapool. Aber dass er ihrem so stark überlegen war?
Sie berührte kurz ihr Herz, atmete ein paar Mal tief ein und aus, bemühte sich zu meditieren. Spürte dabei, wie sich ihre Energie langsam wieder regenerierte, ehe sie wieder aufstand.
„Falls du es noch nicht bemerkt hast, jeder normale Magier wäre nach so einem Weg erschöpft“, meinte sie kalt.

Er zuckte mit den Schultern.
"Ich hätte dir das ersparen können." erwiderte er, beobachtete sie aber. Er wollte wirklich nicht das sie sich verausgabte und umfiel - allein weil sie Recht hatte, ohne sie würde er nicht weiter kommen. "Aber ich verstehe schon, diese Blöße gibst du dir nicht."

„Danke, wir haben für heute lange genug Händchen gehalten“, erwiderte sie immer noch gereizt. Konnte er nicht einfach Mal still sein?
„Wir sollten weiter gehen, bevor es zu dunkel wird. Du willst doch möglichst schnell nach Hause.“
Erhobenen Hauptes ging sie demonstrativ an ihm vorbei, die Richtung einschlagend in der sich der Nordtempel befinden sollte, als sie plötzlich merkte, dass ihr die Beine doch nachgaben und sie leicht in die Knie sackte.

Noch bevor Liam auch nur irgendetwas erwidern konnte, sah er, wie Aimee's Körper doch nachgab. Glücklicherweise war er nicht weit von ihr, so dass es ihm gelang, sie ihm letzten Moment aufzufangen - wenngleich er sich ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen konnte.
"Anscheinend ja doch nicht." meinte er knapp, sie noch immer in seinen Armen haltend.

„Sei still“, murmelte sie kleinlaut, ließ sich von ihm aber dennoch helfen. Ein wenig überraschte es sie doch, dass er sie aufgefangen hatte – oder war das auch nur wieder eine einstudierte Geste? Wie so ziemlich alles, was er tat?
Sie sah ihn an, versuchte, das selbstgefällige Grinsen zu ignorieren und seufzte schließlich.
„Weißt du“, meinte sie, die Stimme fast ein wenig enttäuscht klingend. „das wäre ja fast schon romantisch, wären deine Augen nicht so leer.“

Er spürte, wie seine Mundwinkel nach unten gingen, sein Blick ihrem auswich. Diese Frau hatte ihn durchschaut. Als Einzige.
Er zögerte mit der Antwort, nicht wissend wie er darauf reagieren sollte - ehe er sich wieder fasste.
"Eine Schande", sagte er schließlich und half ihr auf die Beine. "dabei bist du die Einzige Person bei der ich keine komplette Gleichgültigkeit empfinde."
Er lächelte wieder. Sollte sie diese Worte deuten, wie sie wollte - er wusste selbst nicht was sie bedeuteten, oder was er überhaupt für sie empfand. Abneigung? Belustigung? Irgendetwas gab es jedenfalls an ihr, was ihn irgendwie amüsierte. Oder lag es nur daran das sie ihn durchschaut hatte und er das irgendwo bewunderte? Er wusste es nicht.

Die Worte ließen sie zwar aufhorchen, dennoch vermied sie es, ihn anzuschauen. War sich unsicher, ob sie ihn nicht irgendwie verletzt hatte, wobei… warum kümmerte sie das überhaupt?
„Soll ich mich deshalb jetzt geehrt fühlen?“, antwortete sie, klang dabei aber selbst ungewollt unsicher.
Sie verstand diesen Mann nicht, wollte ihn vielleicht auch nicht verstehen. Wie viel Wahrheit lag in diesen Worten? Oder sagte er das nur, um sie doch irgendwie umzustimmen? Dennoch hatte sie das Gefühl, dass sie irgendetwas in ihm ausgelöst hatte, das sie nicht deuten konnte. Und doch entschied sie, es vorerst dabei beruhen zu lassen. Sie waren beide erschöpft und wollten eigentlich nur möglichst schnell die Stadt erreichn.

Die Stadt Nascalaise war eine der am besten geschützten Städte des gesamten Wasserreiches. Umringt von hohen Klippen, aus denen mehrere kleinere Wasserfälle heraustraten, die nicht nur die Stadt versorgten, sondern auch einen natürlichen Fluss speisten, der die Stadt zusätzlich umgab. Eine hohe Stadtmauer umringte sie zusätzlich, gefertigt aus hartem Stein und nur vereinzelt durch magisches Eis verstärkt. Bei genauerer Betrachtung erkannte man einen schmalen Weg, der sich um das Felsmassiv schlängelte und zu einem weiteren, weiß und blau scheinenden Gebäude führte. Aimee wusste sofort, dass das ein Vorgebäude für den hiesigen Tempel sein musste. In Büchern hatte sie von dem klaren See auf der Bergspitze gelesen, der angeblich trotz Temperaturen nie einfror. Grund dafür war der magische Ursprungspunkt der sich an dessen Grund befand und die gesamte Insel mit Magie versorgte.
Schon in frühen Zeiten hatten die Menschen ihres Volkes gemerkt, wie wichtig dieser Ort für ihr Überleben war und deshalb dort einen der größeren Tempel erbaut. Es überraschte sie entsprechend nicht, dass sich gerade hier auch noch ein Teleporter befinden sollte, den sie nach Möglichkeit nutzen wollten… zumindest sofern sie ihn überhaupt erreichten.
Schon von weitem sahen sie eine gewaltige Masse an Menschen und Zelten, die sich am Haupttor der Stadt versammelt hatten. Laute Rufe um Einlass klangen durch die gesamte Landschaft. Hinter den Menschen konnte man einige Soldaten erkennen, die versuchten die Meute zu beruhigen und dazu zu bringen, nach Hause zurückzukehren, doch den genauen Wortlaut konnten sie zwischen den aufgebrachten Rufen der einfachen Menschen nicht vernehmen.
„Sieht nicht so aus, als kämen wir so leicht in die Stadt“, murmelte Aimee, als sie sich langsam näherten und die Rufe immer klarer verstehen konnten.

Auch Liam beobachtete die Meute, welche sich an den Toren drängten, als würde ihr Leben davon abhängen.
"Unruhen, huh..." Murmelte er eher für sich, komplett gleichgültig ob Aimee das hören würde oder nicht.
Die ganze Situation wirkte mittlerweile eher wie eine Revolte - und wenn Liam an Giséle und die anderen Dorfbewohner zurückdachte, zusammen mit dem Bild was sich vor ihm zeigte, verstand er mittlerweile auch wieso

Er seufzte innerlich. Eigentlich sehnte er sich nichts weiter als nach Ruhe und Einsamkeit, wieder komplett für sich zu sein. Obwohl Aimee seine Maske bemerkt hatte, bedeutete es noch lange nicht, das er diese vor ihr fallen lassen wollte. Oder gar konnte. Sie würde ihn gewiss noch mehr verachten wenn sie wüsste, was für ein kalter, empathieloser, charakterloser Abschaum er unter dieser falschen Arroganz war.
Er dachte an den Satz zurück, den sie ihm vor wenigen Tagen noch gesagt hatte.
Wieso war vor ihr niemanden diese Leere aufgefallen?
"Die würden uns nicht so leicht glauben das du die Prinzessin dieses Reiches bist, oder?" Fragte er schließlich, die negativen Gedanken vorerst zur Seite schiebend.

Auch wenn Aimees Gesicht selbst einer kalten Maske glich, so verspürte sie doch gemischte Gefühle. Wut darüber, dass man die Menschen einfach vor den Toren ließ, aber gleichzeitig auch Verständnis für die Soldaten, die nur ihre Arbeit erledigten. Mit Sicherheit gab es einen guten Grund, dass man die Tore geschlossen hatte.
Sie berührte ihr Kinn.
„Ich bezweifle, dass die Leute uns durchlassen werden“, antwortete sie. „Es ist fast unmöglich bis zu den Toren zu kommen…“
Sollten sie vielleicht Magie einsetzen und sich einen Weg bahnen? Nein, das wäre keine gute Idee. Sie sollten die Leute nicht unnötig weiter reizen…
„Oh je, was für ein Aufruhr“, wie aus dem nichts erschien neben ihnen eine Frau, gekleidet in einen für die Temperaturen viel zu dünnen Kittel, der ihr zudem auch noch viel zu groß war – so schien sie sogar ein wenig kleiner als Aimee noch zu sein. Ihre rotblonden Haare hatte sie zu einem wilden, einfachen Zopf zusammen gebunden. An ihrer Hüfte trug sie mehrere kleine Beutel. Ohne von Aimee und Liam wirklich Notiz zu nehmen trat die Frau in Richtung der Meute.

Liam blieb die seltsame Frau nicht unbemerkt. Zweifelnd sah er ihr hinterher, wie sie sich, wie eine Wahnsinnige, auf die Tore zu bewegte.
"Seltsame Leute habt ihr hier..." Murmelte er, während er die Frau in der Menge schon nicht mehr wahrnehmen konnte.

Auch Aimee behielt sie im Auge, sagte jedoch nichts dazu.
„Was macht ihr hier eigentlich?“, hörte man auf einmal die Stimme der Fremden, die erstaunlicherweise lauter war als sämtlicher anderer Lärm. „Sprengt doch einfach das Tor in die Luft!“
Ein fast schon manisches Lachen erschallte, als sich die Leute um die Frau herum zurückzogen, Angst in ihrem Blick. Bei genauerer Betrachtung bemerkte Aimee eine kleine Flamme über der Hand der Frau.
„Eine Feuer-Magierin“, murmelte sie, als auch schon die Soldaten auf die Frau zustürmten und sie begleitet von lautem Protest in die Mangel nahmen.
Aimee warf dabei Liam einen kurzen Blick zu und lief selbst in Richtung der Soldaten, die sich bemühten die umstehenden Menschen von der Festgenommenen fern zu halten.
„Verzeihung“, sagte sie schnell und zog ein Siegel hervor, das sie immer bei sich trug. „Ich bin Prinzessin Aimee. Mein Verlobter und ich würden gerne um Einlass in die Stadt bitten.“
Der Soldat betrachtete sie für einen Augenblick, betrachtete das silbern schimmernde Siegel zweifelnd, während um sie herum die unruhigen Rufe der andern Menschen lauter wurden. Noch bevor sie handgreiflich wurden bildeten die restlichen Soldaten, die nicht mit der Festnahme beschäftigt waren, einen Tunnel um sie und Liam und eskortieren sie in die Stadt.

Liam hörte nur, wie die Rufe der Leute lauter, fordernder, aggressiver wurden - natürlich, schließlich standen wahrscheinlich einige von ihnen schon Stunden, wenn nicht sogar Tage vor dem Tor, in der Hoffnung auf Einlass.
Er wusste, wie unfair es war. Das er und Aimee nicht einfach Einlass bekommen sollten, nur weil sie das Glück hatten, in königlichen Hause geboren zu sein. Das es unter den Leuten genug Verletzte gab, Menschen die vielleicht ihre Heimat verloren hatten; die vielleicht nicht wussten wie sie den morgigen Tag überleben sollten oder ob sie ihn überhaupt erleben könnten. Sorgen, die Liam sich nie machen musste - weswegen ihn seine Probleme gerade noch lächerlicher vorkam, er sich noch abscheulicher fühlte.
Vor allem auch, weil es ihn einfach nicht kratzte. Obwohl ihm die Unfairness dieser Welt, dieser ganzen Situation, dieses kompletten Systems vollends bewusst war, er auch verstand, wie sehr die ärmeren Leute darunter leiden mussten, so verspürte er kein Mitgefühl, nicht Mal ein bisschen. Das einzige was gerade übrig war, war einfach nur diese schreckliche Leere. Und Selbsthass.

Der junge Prinz war froh, das man ihm gerade keine große Beachtung schenkte. Diese Maskerade war anstrengend geworden, selbst für ihn - schweigend lief er neben seiner Verlobten hinterher, welche den Soldaten brav einige Fragen beantwortete, und hoffte still, das ihn gerade niemand ansprechen würde. Obwohl er sein falsches Lächeln so perfektioniert hatte, sein Verhalten so makellos einstudiert war, war er sich nicht sicher ob er mittlerweile nicht einfach zu erschöpft dafür war.

Die Fragen wurden selbst Aimee allmählich zu anstrengend, auch wenn sie nachvollziehen konnte, warum die Soldaten sie stellen mussten. Fragen, die ihre Identität klären sollten, Fragen, wie sie aus Artill hatten entkommen können und wie sie es überhaupt in die Stadt geschafft hatten. Gleichzeitig war sie jedoch froh, dass Liam sich nicht einmischte. Auch wenn ihr sein Schweigen seltsam vorkam. Vermutlich war auch er einfach zu erschöpft, nachdem sie nun seit mehreren Tagen fast pausenlos unterwegs gewesen waren.
Umso glücklicher war sie, als sich vor ihnen endlich die Villa des Fürsten Le Grant abschälte, fast schon so groß wie ein kleines Schloss. Die rotblonde Frau hatten sie bereits woanders hin geschafft, vermutlich würde sie verhört werden – was ihr in dem Moment relativ egal war. Nicht einmal die weiten, weißen Gärten gefüllt mit Eisskulpturen waren ihr egal. Sie wollte lediglich mit dem Fürsten reden, klären, warum er die Tore verschlossen hielt. Und vor allem eine Pause.
„Prinzessin Aimee, Prinz Liam. Was für eine Freude zu sehen, dass Ihr es heil aus Artill heraus geschafft habt!“, die Stimme Le Grants klang überschwänglich, als sie in sein Empfangszimmer gebracht wurden. In seinen Augen las sie seine Überraschung, in Kombination mit Angst.
Sie verbeugte sich freundlich. „Ich danke Euch, dass Ihr uns Einlass gewährt, Fürst Le Grant“, antwortete sie höflich.
Le Grant schüttelte den Kopf und lag unruhig seine Hände ineinander. „Das ist doch selbstverständlich, ich kann doch eine Tochter König Glenns nicht einfach vor den Toren erfrieren lassen.“
„Was das angeht…“, begann sie bereits, doch bemerkte dabei selbst ihre Erschöpfung. Also schüttelte sie den Kopf. „Ach schon gut. Wenn es Euch nichts ausmacht würden wir uns gerne eine Weile ausruhen.“
Le Grant nickte schnell. „Natürlich natürlich“, meinte er nickend. „Ich habe bereits Zimmer für Euch herrichten lassen.“ Er klatschte in die Hände, woraufhin sich die Tür öffnete. „Würdet ihr unsere Gäste bitte zu ihren Zimmern bringen?“ Dann wandte er sich noch einmal an sie. „Ihr könnt mir beim Abendessen alles über Eure Reise erzählen.“
Erneut verbeugte sich Aimee. „Natürlich. Vielen Dank“, sagte sie knapp, ehe sie und Liam den Dienern folgten, die sie zu den Gästezimmern führten.

Liam war in diesen Moment dankbar dafür, dass das das Wasserreich noch sehr altmodisch und traditionsbewusst war, und man ihm und Aimee getrennte Zimmer zugewiesen hatte.
Er brauchte diese Ruhe, dringend - sein Körper streikte und sein Geist erst Recht; vorallem wenn er daran dachte, wie er später mit dem Fürsten zu Abend speisen musste, brav alles beantworten musste, wieder dieses ätzende, falsche Spiel der politischen Gepflogenheiten spielen musste.
Die Diener, die man ihn zur Verfügung gestellt hatte, hatte er direkt wieder fortgeschickt. Er wollte alleine sein, musste allein sein.
Er entledigte sich Großteil der Kleidung und legte sich aufs Bett, die Augen geschlossen. Still Fragte er sich, ob der Engel wieder hier war, ihn beobachtete - Liam hatte seine Präsenz ständig gespürt, doch gerade war er zu erschöpft um sich darauf zu konzentrieren. Selbst wenn, war es egal. Gerade war alles egal.

Die ganze Zeit war er da gewesen. Meist auf gebührendem Abstand, hatte eher aus der Ferne beobachtet, darauf verzichtet Kontakt zu suchen. Nicht, wenn das Mädchen bei ihm war. Zumindest war es das letzte, was Seth ihm antun wollte – dass er ihn vor seiner zukünftigen Ehefrau bloß stelle, wie einen Irren. Er sah auch so, dass der junge Prinz mit großen inneren Problemen zu kämpfen hatte. Etwas was Seth erst die letzten Tage und Wochen, in denen er sich wirklich an ihn gehängt hatte, aufgefallen war.
Dennoch hatte er entschieden, ihn für eine kurze Zeit alleine zu lassen. War nach dem Betreten von Nacalaise zunächst den Soldaten gefolgt, die die Frau fort gebracht hatten. Es gab eine Sache, die ihn bei ihr stutzig gemacht hatte. Obwohl sie gegen die Gefangennahme protestiert hatte, so hatte sie doch gegrinst, während man sie – mit gesenktem Haupt – abgeführt hatte. Doch allzu lange hatte er es nicht mehr in ihrer Nähe ausgehalten. Ihre schrille Stimme, wie sie versucht hatte ihr Recht einzufordern hallte noch immer in seinem Geist wider. Wäre er noch ein normaler Mensch hätte er mit Sicherheit Kopfschmerzen davon getragen. Fast hatte er Mitleid mit den Männern und Frauen, die sie bewachen sollten.
Dennoch dauerte es nicht lange, bis er das Zimmer fand, in dem Liam untergebracht worden war. Ohne Probleme betrat Seth den Raum und warf ihm einen kurzen Blick zu. Schlief er? Kurz überlegte er, ob er doch gehen sollte. Ihm seine Ruhe gönnen sollte. Verstand nicht einmal, warum er überhaupt hier war. Gleichzeitig jedoch spürte er auch, dass er ihn nicht alleine lassen wollte. Dass es etwas im Inneren des Prinzen gab, was er versuchen wollte zu ergründen. Ein Problem, dass ihn beschäftigte.
Schließlich wandte er sich von ihm ab und ließ sich auf einen der Sessel nieder, die sich in dem reich ausgestatteten Zimmer befanden. Welch‘ Ironie. Vor den Toren ließ man die einfachen Bauern verhungern, während man hier allerlei unnötigen Plunder herum stehen hatte, den man ohne Probleme seinen Gästen zur Schau stellte. Manche Menschen änderten sich nie, egal wie viele Jahrhunderte auch ins Land strichen.

Liam musste kurz eingenickt sein, denn als er wieder zu sich kam spürte wieder diese Präsenz, die ihn all die Jahre über begleitet hatte; die zwar ab und an verschwunden war und ihn doch nie ganz verlassen hatte.
Er wusste noch, wie sehr er seinen Hausmädchen damals Angst gemacht hatte, als er Anfang von dem Mann mit dem großen Flügeln zu erzählen; wie sie es alle damals als bloße Kindheitsfantasie abgetan hatten, die sich irgendwann wieder verwachsen, einfach verschwinden würde. Nur ist er nie verschwunden, sondern im Gegenteil: Seine Hirngespinste redeten mittlerweile mit ihm, hatte sogar einen Namen. Und redeten Dinge die er nicht verstand, nicht verstehen wollte.
"Wie lange bist du hier schon?" Fragte er leise, ohne jegliche Emotion in der Stimme.

„Noch nicht lange“, antwortete Seth ohne seinen Blick von den Gemälden und anderen Schmuckstücken abzuwenden. „Ich kann auch gehen, wenn es dir lieber ist. Es war nicht meine Absicht, dich während deiner Ruhe zu stören.“

"Wie du willst." erwiderte der Prinz nur knapp. "Es ist mir ziemlich egal."

Seth erhob sich, lautlos. Blieb jedoch zunächst noch stehen, betrachtete Liam eindringlich. War das nur Erschöpfung oder noch etwas anderes?
„Bist du dir sicher, dass du nach Hause möchtest?“, fragte er unvermittelt.

Ein leises, bitteres Lachen entfuhr Liams Kehle, ehe er sich auf den Rücken drehte, die Hand auf die Stirn gelegt.
"Was ist das denn für eine Frage?" erwiderte er, den Engel im Augenwinkel betrachtend. "Wo soll ich sonst hin wollen? Ich bin nicht sonderlich scharf auf längeren Urlaub hier, vorallem nicht wenn sich ein Krieg anbahnt."